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                   Und ewig lockt 
                    das Weib 
                    Süddeutsche Zeitung, Nr 202, 2002, von Christine Dössel 
                  "Alma a Venezia": Im siebten Jahr zeigt Paulus 
                    Manker sein Simultantheater über das Leben von Alma Mahler-Werfel 
                    in Venedig  und immer noch verpasst man was. 
                  Tod in Venedig. Nachts. Eine Gondel, mit Fackeln geschmückt, 
                    hält vor dem Palazzo Zenobio am Rio dei Carmini. Aus 
                    den Fenstern des Palastes dringt majestätische Musik. 
                    Mahlers fünfte Sinfonie. Ein Trauermarsch. Zwei Gondoliere 
                    nehmen feierlich einen Sarg in Empfang  es ist der Sarg 
                    Gustav Mahlers  hieven ihn vorsichtig ins Boot und gleiten 
                    mit ihm in die Dunkelheit. Einige Touristen auf der anderen 
                    Seite der Brücke machen hastig Photos, Blitzlichter zucken 
                     der Tod ist in Venedig ein begehrtes Motiv. Dass es 
                    sich um eine Theaterszene handelt, wen kümmert das? Ganz 
                    Venedig ist schließlich eine Theaterkulisse, wie geschaffen, 
                    um von Liebe und Tod zu erzählen. Und von den Abgründen 
                    der Lust. Der ideale Ort für jene Femme fatale, der dieser 
                    Theaterabend gewidmet ist: Alma Mahler geborene Schindler, 
                    spätere Gropius, spätere Werfel  Liebhaberin 
                    und Lebensgefährtin einiger der bedeutendsten Künstler 
                    ihrer Zeit. Muse, Maitresse und eine "Steigbügelhalterin" 
                    nannte sie sich  für das beste im Mann: "Jedes 
                    Genie ist mir gerade der rechte Strohhalm als Beute für 
                    mein Nest." 
                  Die Witwe der vier Künste 
                    Sie war eine Sexgöttin, eine Samenräuberin. "Nichts", 
                    soll sie gesagt haben, "schmeckt so gut wie das Sperma 
                    eines Genies." Auf Künstler muss sie gewirkt haben 
                    wie eine Droge. Der Komponist Gustav Mahler, Ehemann Nummer 
                    eins, war zwanzig Jahre älter und süchtig nach ihr. 
                    Was er ihr im Bett nicht geben konnte, holte sie sich bei 
                    dem Architekten Walter Gropius, nach Mahlers Tod Ehemann Nummer 
                    zwei: "Der einzige, der sich rassisch mit mir messen 
                    konnte." Doch auch ihm blieb Alma nicht treu. 1912 lernte 
                    sie den Maler Oskar Kokoschka kennen und begann mit ihm eine 
                    leidenschaftliche Affäre, die dieser in dem Bild "Windsbraut" 
                    verewigt hat. "Er war wie die Sintflut", notierte 
                    Alma. Als sie ihn nach drei Jahren nicht mehr sehen wollte, 
                    ließ Kokoschka eine lebensgroße Ebenbildpuppe 
                    von ihr anfertigen, der Geliebten bis in die intimsten Details 
                    nachempfunden. Mit 50 heiratete Alma, das "wilde Geschöpf" 
                    (Kokoschka), ein drittes Mal: den jüdischen Schriftsteller 
                    Franz Werfel, der in ihr seine Erretterin, eine Göttin 
                    sah. Schon 1918, noch während ihrer Ehe mit Gropius, 
                    war sie von ihm schwanger geworden. Werfel fiel damals so 
                    gierig über sie her, dass er ihr das Kind in einem Blutbad 
                    förmlich aus dem Leib riss. Ein paar Monate später 
                    war es tot. 
                  Alma, ewig lockendes Weib. Die "Witwe der vier Künste" 
                    nannte man sie. Posthum hat sie sogar noch eine fünfte 
                    Kunstsparte erobert: das Theater. Denn auch der Wiener Schauspieler 
                    und Regisseur Paulus Manker, wie Kokoschka verschrieen als 
                    "Oberwildling" und "Wüstling", ist 
                    der gefräßigen Dame verfallen. Und hat ihr ein 
                    Denkmal gesetzt, das dem seiner Vorgänger durchaus würdig 
                    ist: das Theaterspektakel "Alma  A Show Biz ans 
                    Ende" nach einer Textvorlage des israelischen Autors 
                    Joshua Sobol  eine Reise durch Almas Leben, inszeniert 
                    als "Polydrama" mit parallel ablaufenden Handlungssträngen. 
                  Das Stück, uraufgeführt 1996 bei den Wiener Festwochen 
                    und von Paulus Manker 1999 verfilmt, ist unter Kennern längst 
                    Kult. Es gibt Fans, die die Aufführung ein Dutzend Mal 
                    gesehen haben, der größte Almaniac bringt es auf 
                    sage und schreibe 73 Vorstellungen. Sechs Sommer lang diente 
                    als Aufführungsort das Sanatorium Purkersdorf bei Wien, 
                    ein leer stehender Jugendstilbau, in dessen Räumen sich 
                    Mankers Ensemble im Stil der Jahrhundertwende eingerichtet 
                    hatte. 140 ausverkaufte Vorstellungen hat es dort gegeben, 
                    dabei wurden 28 044 Kerzen und 2736 Fackeln verbraucht, und 
                    beim festlichen Leichenschmaus zu Ehren Gustav Mahlers  
                    das Menü ist Teil der Inszenierung  wurde das Publikum 
                    mit jeder Menge gebackener Hendelbügel, Tafelspitzsülzchen 
                    und Apfelstrudel sowie 3762 Flaschen Wein verköstigt. 
                    Jetzt, im siebten Jahr, ist die Produktion heimatlos geworden 
                    und geht auf Gastspieltour. Erste Station ist Venedig, jene 
                    Stadt. In der sich die junge Alma von Gustav Klimt einst den 
                    ersten Kuss bekam und die sie später mit Oskar Kokoschka 
                    bereiste. 1922 kaufte sie sich mit Franz Werfel in Venedig 
                    ein Haus, das sie Casa Alma nannte. 1934 erkrankte hier ihre 
                    Tochter Manon aus der Ehe mit Gropius. Das Mädchen, das 
                    als sagenhafte Schönheit galt, starb ein Jahr später, 
                    mit 18 Jahren , an Polio. Alban Berg komponierte ihr zu ehren 
                    sein Violinkonzert, gewidmet "dem Andenken eines Engels"; 
                    und natürlich erklingt  neben den Symphonien Mahlers 
                     auch dieses Wek, wenn die Zuschauer in Mankers Inszenierung 
                    auf Almas Spuren wandeln. 
                  "Alma a Venezia": Beim italienischen Gastspiel 
                    wird hauptsächlich Englisch gesprochen; die Szenen mit 
                    Werfel (Nikolaus Paryla) sind auf italienisch. Gemietet wurde 
                    der schöne Palazzo Zenobio am Fondamenta del Soccorso, 
                    ein Gebäude aus dem späten 17. Jahrhundert. Wie 
                    in Purkersdorf werden auch hier alle Innen- und Außenräume 
                    bespielt, vom prunkvollen Spiegelsaal im ersten Stock bis 
                    hin zu den Zimmern, die in den Hof und den angrenzenden Garten 
                    führen. Georg Resetschnig hat die Räume auch diesmal 
                    wieder detailgenau im Stil der Zeit eingerichtet, mit exquisiten 
                    Möbeln, alten Teppichen und Gemälden, mit Notenblättern, 
                    Dokumenten und Briefen. Es gibt einen luxuriösen Badesaal 
                    und eine dampfende Küche, ein Alma Memorial und ein italienisches 
                    Café. Überall Lüster, brennende Kerzen. Alle 
                    Requisiten wurden aus Wien herangekarrt  eine Almamanisierung. 
                  Noch immer ist da dieses Gefühl, etwas zu verpassen. 
                    Not und Reichtum des Simultantheaters: Wem soll man folgen? 
                    Wohin zuerst? Mit Alma Nummer zwei ins Schlafzimmer zu Gropius 
                    (Xaver Hutter) und Voyeur sein bei Intimitäten oder doch 
                    lieber hinunter in die Küche, wo sich Alma Nummer drei 
                    mit Gustav Mahler (Helmut Berger) fetzt? Draußen, am 
                    Kanal flüchtet Werfel nach Palästina; oben, im Kafkazimmer, 
                    fällt der wilde Kokoschka (Paulus Manker in einer Paraderolle) 
                    heißblütig über seine Geliebte her. Vier Almas 
                    stehen zur Verfügung, die gealterte Diva (Milena Vukotitc), 
                    die, aus dem Totenreich zurückgekehrt, alle Anwesenden 
                    zu einer Feier lädt, und ihre drei jungen Wiedergängerinnen, 
                    gespielt von Wiebke Frost, Nicole Ansari-Cox und Lea Mornar. 
                    Ihnen folgend, puzzelt man sich Stück für Stück 
                    Almas Biographie zusammen  und erfasst doch nie die 
                    ganze. 
                  Lauschangriff auf ein Leben 
                    "Alma"  Lauschangriff auf ein Liebesleben. 
                    Erstaunlich, wie es der Inszenierung immer wieder gelingt, 
                    nicht nur Atmosphäre, sondern auch ganz intime Momente 
                    zu schaffen  obwohl oder weil die Zuschauer ganz dicht 
                    drran sind an den Akteuren, ihnen buchstäblich zu Leibe 
                    rücken auf den Sofaas und Sesseln in den Salons. "Alma" 
                    ist mehr als ein Theaterspektakel, es ist eine Theaterfaszination. 
                    Ein Gesamtkunstwerk  geistreich, sinnlich und voller 
                    Leidenschaft. Auch im veflixten siebten Jahr hat es nichts 
                    von seiner Kraft verloren. 
                  Im nächsten Jahr geht die Produktion nach New York, 
                    wo Alma ihren letzten Lebensjahre verbrachte. Sie soll dort 
                    Hof gehalten haben wie eine gestürzte Königin. Und 
                    das war sie ja auch: die Königin der Künstlermusen. 
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