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                   Gestern und der Tod in Venedig 
                    Kronenzeitung, 24. August 2002 
                  Ein venezianischer Palast mit verwildertem Barockgarten in 
                    einer hellen Vollmondnacht! Einen idealen Schauplatz fand 
                    Paulus Manker für sein Reisedrama "Alma a Venezia" 
                    im Palazzo Zenobio. Ein perfekter Ort für Joshua Sobols 
                    Stück vom Leben und Sterben der Femme fatale, der Muse, 
                    Geliebten und Ehefrau Alma Mahler-Werfel. 
                  Vier Lkw-Züge reisten zum 123. Geburtstag Alma Mahlers 
                    vom Sanatorium Purkersdorf nach Venedig: Vom Küchenherd 
                    bis zum Klavier, von geistiger Nahrung in Form von Büchern 
                    und Musiknoten bis zu Grabkreuzen, Kränzen und Badewannen 
                    wurde Unglaubliches, Unzählbares in den Palazzo Zenobio 
                    im Stadtteil Dorsoduro befördert. Und zu den seit der 
                    Festwochen-Premiere 1996 verbrannten 28.000 Kerzen werden 
                    wohl bis 21. September noch ein paar Tausend dazukommen. Verbrannt 
                    und von der mittsommernächtlichen Hitze dahingeschmolzen 
                    ... 
                  Humoresken und Grotesken schmunzeln von der Wand  und 
                    der "Fall der Giganten" auf kleinen Freskenmedaillons 
                    scheint still zu stehen, wenn Mankers "Alma a Venezia" 
                    mit dem größten Geburtstagsfest im reichstuckierten 
                    Ballsaal beginnt. Die Lichter flackern und verschwimmen in 
                    den vergoldeten Spiegeln: Melancholie schlägt sich auf 
                    die Stimmungen zwischen Hörigkeit und Beziehungswahn, 
                    Identitätsfindung und Liebeskrisen. Denn rasch verliert 
                    sich das zum Teil von weit her angereiste Publikum, begleitet 
                    Alma und Walter Gropius bei einer Bootsfahrt auf dem Kanal; 
                    man folgt ihr in die Küche, Keller und  ins Bett. 
                    Mancher sucht da kurz Ruhe im Alma-Schrein mit Originalvideo, 
                    Erinnerungsstücken und Kaiserdevotionalien. Oder lauscht 
                    den Gesprächen im Garten oder Nebenzimmer. Höchst 
                    reizvoll! 
                  Morbide Schauplätze an einem untergehenden Ort für 
                    eine sehnsuchtsvolle, lebensbejahende, zur vorletzten Jahrhundertwende 
                    äußerst moderne Frau. Alma ist an den Ort zurückgekehrt, 
                    den sie einst nach dem Tod ihrer Tochter Manon fluchtartig 
                    verlassen hat. 
                  Als mondäne, reife Frau, die auch italienisch spricht 
                    und fast dem Wahnsinn erliegt, imponiert TV-Star Milena Vukotic. 
                    Sie ist es, die mit ihren drei jugendlichen Pendants  
                    mit Lea Mornar als komponierende Alma 1. Mit Nicole Ansaris 
                    impulsiver Alma 2 und mit Wiebke Frosts resoluter Alma 3  
                    das Spiel und das Leben der berühmten Männer in 
                    der Hand hält. 
                  Aber auch hier ist Gustav Mahlers Musik die treibende Kraft 
                    in den Sälen und Zimmern, in den Kellern und heimlichen 
                    Gartenecken des Palasts: effektvoll inszeniert Manker das 
                    Begräbnis des Komponisten mit Trauermarsch und Abfahrt 
                    des Sarges in schwarzer Gondel: ein Tod in Venedig. Nur statt 
                    Wagner-Tod und Palazzo Vendramin ein opulent, sinnliches, 
                    kunstvoll ausstaffiertes Schauvergnügen. Und auch dieser 
                    Tod feiert im Palazzo Zenobio fröhlich-leibliche Umstände: 
                    mit Wiener Schnitzel, Gulasch, Apfelstrudel und Kapuzinerschnitten. 
                    Schauspielerqualitäten  ohne jede Routine nach 
                    immerhin 140 Vorstellungen (!)  bieten Helmut Berger 
                    (Mahler), Xaver Hutter (Gropius), Nikolaus Paryla (Werfel) 
                    und Paulus Manker (Kokoschka): Sie bringen die Welt von gestern 
                    in eine sterbende Stätte des Vorgestern, in der sich 
                    bald die Melancholie des September breit machen wird. Und 
                    in die sich schon die ersten Nebel schleichen. Aber Mankers 
                    aufregendes Theaterspektakel, über das sich jeder sein 
                    eigenes Bild machen kann, soll. Ja muss, sorgt auch in Venedig 
                    für einen Abend der Superlative. Für Fans, Kenner, 
                    zufällig Vorbeikommende. 
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